Milen Till
Master Cards
11. März bis 18. April 2023
Wir freuen uns sehr, die Ausstellung „Master Cards“ des jungen deutsch-französischen Künstlers Milen Till ankündigen zu dürfen, der sich unstreitig dem Konzeptualismus und der Ready-Made-Art verpflichtet fühlt.
Till als reinen Konzeptkünstler zu bezeichnen, würde aber zu kurz greifen. Man muss in ihm vielmehr einen humorvoll-versessenen Archäologen der zeitgenössischen Kunst sehen.
In seinen vielschichtigen Arbeiten setzt er sich zumeist mit ikonographischen Werken berühmter Künstler*innen auseinander. Er schält ihre wesentlichen Merkmale heraus, verfremdet sie, kontextualisiert sie, stellt verblüffende Zusammenhänge her und gibt ihnen eine neue Bedeutung. Dabei führt er den Betrachter manchmal bewusst in die Irre, manchmal genau zum Kern der verfremdeten Werke. Was ihm aber stets gelingt: Er ironisiert und würdigt die Arbeiten seiner Vorbilder gleichermaßen. Er lenkt unseren Blick auf die Bedeutungsschwere der bildenden Kunst und verleiht ihr im selben Moment eine sympathische, überraschende, augenzwinkernde Leichtigkeit.
In seiner Ausstellung „Master Cards“ widmet Till sich der Verdauung, Verarbeitung, Verfremdung und Verfeinerung der zeitgenössischen Kunstgeschichte nun anhand von Postkarten aus Museumsshops. Rund 20.000 Ansichtskarten weltbekannter Kunstwerke hat er in den
letzten fünf Jahren bei Besuchen in Museen rund um den Globus zusammengekauft. Mit akribischer Chuzpe setzt er sie zu skulpturalen Installationen, verspielten Wandarbeiten oder kleinen, charmanten Randnotizen zusammen.
Postkarten der legendären Arbeit „Monochrom Blue“ (Monochromes Blau) von Yves Klein arrangiert er zu einem sechs Meter langen Solar Panel, das berühmte Kerzen-Bild von Gerhard Richter findet seine Bestimmung in einem schlichten Bauhaus-Kerzenständer, die verkohlten Toastbrote von Jasper Johns landen in einem Toaster, aus Karten der strengen, schwermütigen Fachwerkhaus-Fotografien von Bernd und Hilla Becher komponiert er ein luftig-leichtes Kartenhaus, an Zielscheiben erinnernde Werke von Kenneth Noland und Jasper Johns werden treffsicher mit Dartpfeilen durchlöchert, Postkarten von Joseph Beuys führen als gelber Mittelstreifen durch den Galerieraum, als würde der Altmeister der Konzeptkunst immer noch die Richtung vorgeben, allerdings mit durchaus durchlässiger Intention, denn der Streifen ist strichliert, Überholen ist also erlaubt.
Neben diesen Arbeiten, die jeweils einem einzigen Künstler und Werk gewidmet sind, findet sich im zweiten Raum die Werkserie „No Brainer“, die aus den Postkarten mehrerer Künstler*innen kompiliert ist. Kreisrund angeordnet bilden sie Wandobjekte, die von Weitem
wie große, farbenfrohe Blumen aussehen. Jede einzelne Arbeit ist dabei einem eigenen Thema gewidmet. So sind Postkarten-Motive von Paul Klee und Salvador Dali zu einer vielschichtigen Hommage an Gertrude Stein arrangiert, Bilder von Claude Monet und Robert Delaunay zu einem assoziativen Reigen für den Renaissance-Maler Giuseppe Arcimboldo.
Darüberhinaus wurde jedes Werk der Ausstellung selbst als Postkarte gedruckt. Im letzten Raum der Galerie sind sie auf Alu-Keilrahmen aufgereiht, die ursprünglich mal einer Leinwand-Malerei als Träger dienten. Der Ausstellungsbesucher ist eingeladen, sich eine Karte zu nehmen, mit einem Text zu versehen und an irgendjemanden zu adressieren. Die Karte wird von der Galerie frankiert und verschickt – als Service im Dienst des Künstlers und der Kunst.
Milen Till wurde 1984 in München geboren. Zusammen mit seinem Bruder Amédée bildete er das legendäre DJ-Duo „Kill The Tills“, bevor er sich 2016 der bildenden Kunst zuwandte. Er studierte an der Münchner Kunstakademie bei Gregor Hildebrandt, wo er 2020
mit dem Meisterdiplom abschloss. Bereits während seines Studiums nahm er an zahlreichen Einzel- und Gruppenausstellungen teil, unter anderem in der Galerie Crone, Berlin, der Galerie Ruttkowski, Köln, der Galerie Klüser, München, der Baumwollspinnerei Leipzig, dem Kunstverein Heppenheim, der Galerie Suzanne Tarasieve, Paris, der Avlskarl Gallery, Kopenhagen, der Villa Schöningen, Potsdam, der Villa Stuck, München, dem Kunstquartier Bethanien, Berlin, sowie den Rumänischen Kulturinstituten in Berlin und Paris.
Ende April erscheint bei Hatje Cantz Tills erstes Buch „Till Now“.
Milen Till
Master Cards
11. März bis 18. April 2023
Wir freuen uns sehr, die Ausstellung „Master Cards“ des jungen deutsch-französischen Künstlers Milen Till ankündigen zu dürfen, der sich unstreitig dem Konzeptualismus und der Ready-Made-Art verpflichtet fühlt.
Till als reinen Konzeptkünstler zu bezeichnen, würde aber zu kurz greifen. Man muss in ihm vielmehr einen humorvoll-versessenen Archäologen der zeitgenössischen Kunst sehen.
In seinen vielschichtigen Arbeiten setzt er sich zumeist mit ikonographischen Werken berühmter Künstler*innen auseinander. Er schält ihre wesentlichen Merkmale heraus, verfremdet sie, kontextualisiert sie, stellt verblüffende Zusammenhänge her und gibt ihnen eine neue Bedeutung. Dabei führt er den Betrachter manchmal bewusst in die Irre, manchmal genau zum Kern der verfremdeten Werke. Was ihm aber stets gelingt: Er ironisiert und würdigt die Arbeiten seiner Vorbilder gleichermaßen. Er lenkt unseren Blick auf die Bedeutungsschwere der bildenden Kunst und verleiht ihr im selben Moment eine sympathische, überraschende, augenzwinkernde Leichtigkeit.
In seiner Ausstellung „Master Cards“ widmet Till sich der Verdauung, Verarbeitung, Verfremdung und Verfeinerung der zeitgenössischen Kunstgeschichte nun anhand von Postkarten aus Museumsshops. Rund 20.000 Ansichtskarten weltbekannter Kunstwerke hat er in den
letzten fünf Jahren bei Besuchen in Museen rund um den Globus zusammengekauft. Mit akribischer Chuzpe setzt er sie zu skulpturalen Installationen, verspielten Wandarbeiten oder kleinen, charmanten Randnotizen zusammen.
Postkarten der legendären Arbeit „Monochrom Blue“ (Monochromes Blau) von Yves Klein arrangiert er zu einem sechs Meter langen Solar Panel, das berühmte Kerzen-Bild von Gerhard Richter findet seine Bestimmung in einem schlichten Bauhaus-Kerzenständer, die verkohlten Toastbrote von Jasper Johns landen in einem Toaster, aus Karten der strengen, schwermütigen Fachwerkhaus-Fotografien von Bernd und Hilla Becher komponiert er ein luftig-leichtes Kartenhaus, an Zielscheiben erinnernde Werke von Kenneth Noland und Jasper Johns werden treffsicher mit Dartpfeilen durchlöchert, Postkarten von Joseph Beuys führen als gelber Mittelstreifen durch den Galerieraum, als würde der Altmeister der Konzeptkunst immer noch die Richtung vorgeben, allerdings mit durchaus durchlässiger Intention, denn der Streifen ist strichliert, Überholen ist also erlaubt.
Neben diesen Arbeiten, die jeweils einem einzigen Künstler und Werk gewidmet sind, findet sich im zweiten Raum die Werkserie „No Brainer“, die aus den Postkarten mehrerer Künstler*innen kompiliert ist. Kreisrund angeordnet bilden sie Wandobjekte, die von Weitem
wie große, farbenfrohe Blumen aussehen. Jede einzelne Arbeit ist dabei einem eigenen Thema gewidmet. So sind Postkarten-Motive von Paul Klee und Salvador Dali zu einer vielschichtigen Hommage an Gertrude Stein arrangiert, Bilder von Claude Monet und Robert Delaunay zu einem assoziativen Reigen für den Renaissance-Maler Giuseppe Arcimboldo.
Darüberhinaus wurde jedes Werk der Ausstellung selbst als Postkarte gedruckt. Im letzten Raum der Galerie sind sie auf Alu-Keilrahmen aufgereiht, die ursprünglich mal einer Leinwand-Malerei als Träger dienten. Der Ausstellungsbesucher ist eingeladen, sich eine Karte zu nehmen, mit einem Text zu versehen und an irgendjemanden zu adressieren. Die Karte wird von der Galerie frankiert und verschickt – als Service im Dienst des Künstlers und der Kunst.
Milen Till wurde 1984 in München geboren. Zusammen mit seinem Bruder Amédée bildete er das legendäre DJ-Duo „Kill The Tills“, bevor er sich 2016 der bildenden Kunst zuwandte. Er studierte an der Münchner Kunstakademie bei Gregor Hildebrandt, wo er 2020
mit dem Meisterdiplom abschloss. Bereits während seines Studiums nahm er an zahlreichen Einzel- und Gruppenausstellungen teil, unter anderem in der Galerie Crone, Berlin, der Galerie Ruttkowski, Köln, der Galerie Klüser, München, der Baumwollspinnerei Leipzig, dem Kunstverein Heppenheim, der Galerie Suzanne Tarasieve, Paris, der Avlskarl Gallery, Kopenhagen, der Villa Schöningen, Potsdam, der Villa Stuck, München, dem Kunstquartier Bethanien, Berlin, sowie den Rumänischen Kulturinstituten in Berlin und Paris.
Ende April erscheint bei Hatje Cantz Tills erstes Buch „Till Now“.
Das postkartesische Koordinatensystem
Anmerkungen zu Milen Tills Ausstellung „Master Cards"
Von Lars Weisbrod
In Deutschland brauchte die Postkarte etwas länger. Als 1865 der Generalpostdirektor des Deutschen Reichs zum ersten Mal anregte, sogenannte "Postblätter" einzuführen, da musste er mit seinem disruptiven Vorschlag noch scheitern. Zu groß war die Angst, dass Unbefugte und Neugierige die umschlaglosen Nachrichten lesen und Geheimnisse leaken. Ich erinnere mich auch noch, damals waren wir gerade erst online gegangen, mit Modem und Minutentarif, da erklärte unser Physik-Lehrer uns, dass man eine unverschlüsselte E-Mail verstehen müsse "wie eine Postkarte". Jeder, der sie auf ihrem Weg von A nach B zufällig in die Hände bekommt, kann lesen, was man geschrieben hat, und das ohne eine Spur zu hinterlassen. Das war von unserem Physik-Lehrer gemeint als Warnung, aber man konnte darin auch einen Trost finden. Die prosaische, für Nützlichkeit und Büroeinsatz optimierte E-Mail wurde plötzlich zu einer freundlichen, ganz zwecklosen Postkarte, wie man sie aus dem Urlaub verschickt.
Private Mails soll man besser verschlüsseln. Aber muss auch Kunst kryptisch sein und unzugänglich? Verfasst in einem Geheimcode, den nur der Eingeweihte zu entschlüsseln weiß? Hoffentlich nicht. Die Kunstwerk-Postkarten jedenfalls, die Milen l'ill überall auf der Welt in den Shops der Museen eingekauft hat, helfen dabei, die Kunst zu öffnen. Mit den Postkarten kann man die Freunde und die Weggefährten zu Hause Teil haben lassen an der ästhetischen Knaller-Erfahrung, die einen gerade oben auf der Ausstellungsfläche noch so elektrisiert hat. "Schau mal, das habe ich gerade gesehen, in echt und in groß und ich wünschte, du wärst dabei gewesen! Es ist schön hier, aber ich vermisse dich!" Oder noch mal für Jüngere, how do you do, fellow kids: Die Kunstwerk-Postkarte gleicht dem Share-Button unter einem Meme, das wir weiterverschicken wollen. Manchmal sieht das Icon, das wir dann antippen, aus wie ein Papierflieger - so wie die Flieger, die Milen Till gefaltet hat aus Postkarten, die einen der fröhlichen Drucke von Alexander Calder zeigen.
Wer von Kryptographie redet, wie unser Physik-Lehrer damals, der stellt sich meist vor, dass eine geheime Botschaft verschlüsselt wird, damit nur der wahre Empfänger ihren Sinn zu erfassen vermag. Kryptographie kennt aber noch mindestens eine weitere unverzichtbare Anwendung: die Authentifizierung. Mathematiker und Informatiker stellen mit ihren Zahlenmaschinen sicher, dass eine igitale Botschaft tatsächlich von dem Absender stammt, der sie angeblich signiert hat. Auch gegen diese Form der Verschlüsselung leistet die Kunst von Milen Till entspannt Widerstand: Hier wird mit großer Freude appropriiert, ironisiert, zerstückelt und wieder zusammengeklebt, was andere einst in die Kunstwelt sendeten - so lange, bis keine strenge Signatur mehr zu entziffern ist.
Zwei Postkarten hat Milen Till sogar durchlöchert. In Zielscheiben von Jasper Johns und Kenneth Noland stecken jetzt Dart-Pfeile. Die verfremdete Zielscheibe, sie steht geradezu emblematisch für die Kunst, die Till produziert. In München hat er schon einmal eine selbst entworfene aufgestellt: Vor der Villa Stuck wacht dort eine "Reitende Amazone", die Bronzeskulptur holt aus, zum Wurf mit ihrem Speer, die Feme scharf im Blick. Auf der anderen Straßenseite montierte Till ihr nun ein Ziel hin, in das der Speer, wenn er einst losgelassen wird, sich senken wird. Statistiker kennen für so ein regelwidriges Vorgehen den schönen Begriff "Texas sharpshooter fallacy". Man kann nicht, wie der Texaner aus dem alten Witz, zuerst ins Scheunentor schießen und dann um die Treffer herum eine Zielscheibe malen, um sich zum Schützenkönig zu krönen. Die Zielscheibe müsste zuerst kommen. So wie der Statistiker auch vor der DatenErhebung angeben soll, wie die Ergebnisse ausfallen müssten, damit sie die Hypothese tatsächlich bestätigen. Im Nachhinein kann's schließlich jeder sich zurechtbiegen. Nur eben nicht jeder so schön wie Milen Till.
Muss Kunst verschlossen sein, kryptisch, unzugänglich? Vielleicht nicht. Und trotzdem gilt, was Joseph Beuys einst in einem Seminar gesagt haben soll: "Wer nicht denken will, fliegt raus." Den Satz notierte er auf einer Karteikarte, die er anschließend selbst als Postkarte veröffentlichte - Beuys betrachtete seine Postkarten nicht als zweitrangiges Merchandising, sondern als Kunstwerke eigenen Ranges. "Wer nicht denken will, fliegt raus", das kann man natürlich auch sanfter formulieren, damit man die Leute nicht sofort verschreckt. In der Redaktion, in der ich arbeite, hing im Flur des Feuilletons lange eine Postkarte an der Wand, ich weiß nicht, wer sie warum dort aufgehängt hatte. Auf ihr zu lesen war eine Frage: ls art intelligent entertainment? Für die Kunst von Milen Till fällt die Antwort leicht: Aber klar - very intelligent entertainment.
The Post-Cartesian Coordinate System
Notes on Milen Till's Exhibition Master Cards
By Lars Weisbrod
In Germany, the postcard took a little longer. In 1865, when the Director General of the German Empire's General Post Office first suggested the introduction of "postal sheets," his disruptive proposal was bound to fail. The fear that unauthorized people and the curious would read the envelope-free messages and leak secrets was too great. 1 also remember that at the time when we had just gone online, with modems and minute tariffs, our physics teacher explained to us that you have to understand an unencrypted email "like a postcard." Anyone who happens to get hold of it on its way from A to B can read what you have written, and without leaving a trace. This was meant as a warning from our teacher, but one could also find comfort in it. The prosaic email, optimized for usefulness and office use, suddenly became a friendly, quite purposeless postcard, the kind you send from vacation.
lt's better to encrypt private emails. But does art also have to be cryptic and inaccessible? Written in a secret code that only the initiated know how to decipher? Hopefully not. In any case, the artwork postcards that Milen Till has bought in museum stores the world over help to open art up. With the postcards, you can let your friends and companions back home share in the aesthetic experience that just electrified you in the exhibition. "Look, 1 just saw this, in real life, and I wish you could have been there! lt's beautiful here, but I miss you!" Or for you, younger ones, how d.o you do, fellow kids: the artwork postcard is like the share button under a meme that we want to forward. Sometimes the icon we then tap looks like a paper airplane-like the planes Milen Till folded from postcards featuring one of Alexander Calder's cheerful prints.
Whoever talks about cryptography, as our physics teacher did back in the day, usually imagines that a secret message is encrypted so that only the true recipient is able to grasp its meaning. But cryptography has at least one more indispensable application: authentication. Mathematicians and computer scientists use their number machines to ensure that a digital message actually comes from the sender who supposedly signed it. Milen Till's art also offers relaxed resistance to this form of encryption: here, what others once sent into the art world is appropriated, ironized, fragmented, and glued back together with great glee-until no strict signature can be deciphered.
Milen Till even punched holes in two postcards. "Targets" by Jasper Johns and Kenneth Noland now contain darts. The alienated target is virtually emblematic of the art that Till produces. In Munich, he has already set up one of his own design: in front of the Villa Stuck, a "Riding Amazon" stands guard, the bronze sculpture lunges to throw her spear, the distance sharply in view. On the other side of the street, Till has now mounted a target for her, into which the spear will sink when it is released. Statisticians know the great term "Texas sharpshooter fallacy" for such an irregular procedure. You can't, like the Texan from the old joke, shoot first into the barn door and then paint a target around the hits to be crowned the shooter king. The target would have to come first. Just as the statistician is supposed to indicate how the results would have to turn out to actually confirm the hypothesis before collecting data. In retrospect, everyone can bend it to his or her liking. Just not everyone as beautifully as Milen Till.
Does art have to be closed, cryptic, inaccessible? Perhaps not. And yet, what Joseph Beuys is said to have once remarked in a seminar holds true: "Anyone who doesn't think gets kicked out." He jotted down the phrase on an index card, which he subsequently published himself as a postcard-Beuys did not regard his postcards as secondary merchandising, but as works of art in their own right. "Anyone who doesn't think gets kicked out," of course, can be phrased more gently, so as not to scare people away immediately. In the editorial department where I work, there was a postcard hanging on the wall in the hallway of the feature section for a long time; 1 don't know who hung it there and why. On it was a question: ls art intelligent e11tertainment? For the art of Milen Till, the answer is easy: of course, very intelligent entertainment.
Photos © Uwe Walter
Milen Till
Master Cards
11. März bis 18. April 2023
Wir freuen uns sehr, die Ausstellung „Master Cards“ des jungen deutsch-französischen Künstlers Milen Till ankündigen zu dürfen, der sich unstreitig dem Konzeptualismus und der Ready-Made-Art verpflichtet fühlt.
Till als reinen Konzeptkünstler zu bezeichnen, würde aber zu kurz greifen. Man muss in ihm vielmehr einen humorvoll-versessenen Archäologen der zeitgenössischen Kunst sehen.
In seinen vielschichtigen Arbeiten setzt er sich zumeist mit ikonographischen Werken berühmter Künstler*innen auseinander. Er schält ihre wesentlichen Merkmale heraus, verfremdet sie, kontextualisiert sie, stellt verblüffende Zusammenhänge her und gibt ihnen eine neue Bedeutung. Dabei führt er den Betrachter manchmal bewusst in die Irre, manchmal genau zum Kern der verfremdeten Werke. Was ihm aber stets gelingt: Er ironisiert und würdigt die Arbeiten seiner Vorbilder gleichermaßen. Er lenkt unseren Blick auf die Bedeutungsschwere der bildenden Kunst und verleiht ihr im selben Moment eine sympathische, überraschende, augenzwinkernde Leichtigkeit.
In seiner Ausstellung „Master Cards“ widmet Till sich der Verdauung, Verarbeitung, Verfremdung und Verfeinerung der zeitgenössischen Kunstgeschichte nun anhand von Postkarten aus Museumsshops. Rund 20.000 Ansichtskarten weltbekannter Kunstwerke hat er in den
letzten fünf Jahren bei Besuchen in Museen rund um den Globus zusammengekauft. Mit akribischer Chuzpe setzt er sie zu skulpturalen Installationen, verspielten Wandarbeiten oder kleinen, charmanten Randnotizen zusammen.
Postkarten der legendären Arbeit „Monochrom Blue“ (Monochromes Blau) von Yves Klein arrangiert er zu einem sechs Meter langen Solar Panel, das berühmte Kerzen-Bild von Gerhard Richter findet seine Bestimmung in einem schlichten Bauhaus-Kerzenständer, die verkohlten Toastbrote von Jasper Johns landen in einem Toaster, aus Karten der strengen, schwermütigen Fachwerkhaus-Fotografien von Bernd und Hilla Becher komponiert er ein luftig-leichtes Kartenhaus, an Zielscheiben erinnernde Werke von Kenneth Noland und Jasper Johns werden treffsicher mit Dartpfeilen durchlöchert, Postkarten von Joseph Beuys führen als gelber Mittelstreifen durch den Galerieraum, als würde der Altmeister der Konzeptkunst immer noch die Richtung vorgeben, allerdings mit durchaus durchlässiger Intention, denn der Streifen ist strichliert, Überholen ist also erlaubt.
Neben diesen Arbeiten, die jeweils einem einzigen Künstler und Werk gewidmet sind, findet sich im zweiten Raum die Werkserie „No Brainer“, die aus den Postkarten mehrerer Künstler*innen kompiliert ist. Kreisrund angeordnet bilden sie Wandobjekte, die von Weitem
wie große, farbenfrohe Blumen aussehen. Jede einzelne Arbeit ist dabei einem eigenen Thema gewidmet. So sind Postkarten-Motive von Paul Klee und Salvador Dali zu einer vielschichtigen Hommage an Gertrude Stein arrangiert, Bilder von Claude Monet und Robert Delaunay zu einem assoziativen Reigen für den Renaissance-Maler Giuseppe Arcimboldo.
Darüberhinaus wurde jedes Werk der Ausstellung selbst als Postkarte gedruckt. Im letzten Raum der Galerie sind sie auf Alu-Keilrahmen aufgereiht, die ursprünglich mal einer Leinwand-Malerei als Träger dienten. Der Ausstellungsbesucher ist eingeladen, sich eine Karte zu nehmen, mit einem Text zu versehen und an irgendjemanden zu adressieren. Die Karte wird von der Galerie frankiert und verschickt – als Service im Dienst des Künstlers und der Kunst.
Milen Till wurde 1984 in München geboren. Zusammen mit seinem Bruder Amédée bildete er das legendäre DJ-Duo „Kill The Tills“, bevor er sich 2016 der bildenden Kunst zuwandte. Er studierte an der Münchner Kunstakademie bei Gregor Hildebrandt, wo er 2020
mit dem Meisterdiplom abschloss. Bereits während seines Studiums nahm er an zahlreichen Einzel- und Gruppenausstellungen teil, unter anderem in der Galerie Crone, Berlin, der Galerie Ruttkowski, Köln, der Galerie Klüser, München, der Baumwollspinnerei Leipzig, dem Kunstverein Heppenheim, der Galerie Suzanne Tarasieve, Paris, der Avlskarl Gallery, Kopenhagen, der Villa Schöningen, Potsdam, der Villa Stuck, München, dem Kunstquartier Bethanien, Berlin, sowie den Rumänischen Kulturinstituten in Berlin und Paris.
Ende April erscheint bei Hatje Cantz Tills erstes Buch „Till Now“.
Das postkartesische Koordinatensystem
Anmerkungen zu Milen Tills Ausstellung „Master Cards"
Von Lars Weisbrod
In Deutschland brauchte die Postkarte etwas länger. Als 1865 der Generalpostdirektor des Deutschen Reichs zum ersten Mal anregte, sogenannte "Postblätter" einzuführen, da musste er mit seinem disruptiven Vorschlag noch scheitern. Zu groß war die Angst, dass Unbefugte und Neugierige die umschlaglosen Nachrichten lesen und Geheimnisse leaken. Ich erinnere mich auch noch, damals waren wir gerade erst online gegangen, mit Modem und Minutentarif, da erklärte unser Physik-Lehrer uns, dass man eine unverschlüsselte E-Mail verstehen müsse "wie eine Postkarte". Jeder, der sie auf ihrem Weg von A nach B zufällig in die Hände bekommt, kann lesen, was man geschrieben hat, und das ohne eine Spur zu hinterlassen. Das war von unserem Physik-Lehrer gemeint als Warnung, aber man konnte darin auch einen Trost finden. Die prosaische, für Nützlichkeit und Büroeinsatz optimierte E-Mail wurde plötzlich zu einer freundlichen, ganz zwecklosen Postkarte, wie man sie aus dem Urlaub verschickt.
Private Mails soll man besser verschlüsseln. Aber muss auch Kunst kryptisch sein und unzugänglich? Verfasst in einem Geheimcode, den nur der Eingeweihte zu entschlüsseln weiß? Hoffentlich nicht. Die Kunstwerk-Postkarten jedenfalls, die Milen l'ill überall auf der Welt in den Shops der Museen eingekauft hat, helfen dabei, die Kunst zu öffnen. Mit den Postkarten kann man die Freunde und die Weggefährten zu Hause Teil haben lassen an der ästhetischen Knaller-Erfahrung, die einen gerade oben auf der Ausstellungsfläche noch so elektrisiert hat. "Schau mal, das habe ich gerade gesehen, in echt und in groß und ich wünschte, du wärst dabei gewesen! Es ist schön hier, aber ich vermisse dich!" Oder noch mal für Jüngere, how do you do, fellow kids: Die Kunstwerk-Postkarte gleicht dem Share-Button unter einem Meme, das wir weiterverschicken wollen. Manchmal sieht das Icon, das wir dann antippen, aus wie ein Papierflieger - so wie die Flieger, die Milen Till gefaltet hat aus Postkarten, die einen der fröhlichen Drucke von Alexander Calder zeigen.
Wer von Kryptographie redet, wie unser Physik-Lehrer damals, der stellt sich meist vor, dass eine geheime Botschaft verschlüsselt wird, damit nur der wahre Empfänger ihren Sinn zu erfassen vermag. Kryptographie kennt aber noch mindestens eine weitere unverzichtbare Anwendung: die Authentifizierung. Mathematiker und Informatiker stellen mit ihren Zahlenmaschinen sicher, dass eine igitale Botschaft tatsächlich von dem Absender stammt, der sie angeblich signiert hat. Auch gegen diese Form der Verschlüsselung leistet die Kunst von Milen Till entspannt Widerstand: Hier wird mit großer Freude appropriiert, ironisiert, zerstückelt und wieder zusammengeklebt, was andere einst in die Kunstwelt sendeten - so lange, bis keine strenge Signatur mehr zu entziffern ist.
Zwei Postkarten hat Milen Till sogar durchlöchert. In Zielscheiben von Jasper Johns und Kenneth Noland stecken jetzt Dart-Pfeile. Die verfremdete Zielscheibe, sie steht geradezu emblematisch für die Kunst, die Till produziert. In München hat er schon einmal eine selbst entworfene aufgestellt: Vor der Villa Stuck wacht dort eine "Reitende Amazone", die Bronzeskulptur holt aus, zum Wurf mit ihrem Speer, die Feme scharf im Blick. Auf der anderen Straßenseite montierte Till ihr nun ein Ziel hin, in das der Speer, wenn er einst losgelassen wird, sich senken wird. Statistiker kennen für so ein regelwidriges Vorgehen den schönen Begriff "Texas sharpshooter fallacy". Man kann nicht, wie der Texaner aus dem alten Witz, zuerst ins Scheunentor schießen und dann um die Treffer herum eine Zielscheibe malen, um sich zum Schützenkönig zu krönen. Die Zielscheibe müsste zuerst kommen. So wie der Statistiker auch vor der DatenErhebung angeben soll, wie die Ergebnisse ausfallen müssten, damit sie die Hypothese tatsächlich bestätigen. Im Nachhinein kann's schließlich jeder sich zurechtbiegen. Nur eben nicht jeder so schön wie Milen Till.
Muss Kunst verschlossen sein, kryptisch, unzugänglich? Vielleicht nicht. Und trotzdem gilt, was Joseph Beuys einst in einem Seminar gesagt haben soll: "Wer nicht denken will, fliegt raus." Den Satz notierte er auf einer Karteikarte, die er anschließend selbst als Postkarte veröffentlichte - Beuys betrachtete seine Postkarten nicht als zweitrangiges Merchandising, sondern als Kunstwerke eigenen Ranges. "Wer nicht denken will, fliegt raus", das kann man natürlich auch sanfter formulieren, damit man die Leute nicht sofort verschreckt. In der Redaktion, in der ich arbeite, hing im Flur des Feuilletons lange eine Postkarte an der Wand, ich weiß nicht, wer sie warum dort aufgehängt hatte. Auf ihr zu lesen war eine Frage: ls art intelligent entertainment? Für die Kunst von Milen Till fällt die Antwort leicht: Aber klar - very intelligent entertainment.
The Post-Cartesian Coordinate System
Notes on Milen Till's Exhibition Master Cards
By Lars Weisbrod
In Germany, the postcard took a little longer. In 1865, when the Director General of the German Empire's General Post Office first suggested the introduction of "postal sheets," his disruptive proposal was bound to fail. The fear that unauthorized people and the curious would read the envelope-free messages and leak secrets was too great. 1 also remember that at the time when we had just gone online, with modems and minute tariffs, our physics teacher explained to us that you have to understand an unencrypted email "like a postcard." Anyone who happens to get hold of it on its way from A to B can read what you have written, and without leaving a trace. This was meant as a warning from our teacher, but one could also find comfort in it. The prosaic email, optimized for usefulness and office use, suddenly became a friendly, quite purposeless postcard, the kind you send from vacation.
lt's better to encrypt private emails. But does art also have to be cryptic and inaccessible? Written in a secret code that only the initiated know how to decipher? Hopefully not. In any case, the artwork postcards that Milen Till has bought in museum stores the world over help to open art up. With the postcards, you can let your friends and companions back home share in the aesthetic experience that just electrified you in the exhibition. "Look, 1 just saw this, in real life, and I wish you could have been there! lt's beautiful here, but I miss you!" Or for you, younger ones, how d.o you do, fellow kids: the artwork postcard is like the share button under a meme that we want to forward. Sometimes the icon we then tap looks like a paper airplane-like the planes Milen Till folded from postcards featuring one of Alexander Calder's cheerful prints.
Whoever talks about cryptography, as our physics teacher did back in the day, usually imagines that a secret message is encrypted so that only the true recipient is able to grasp its meaning. But cryptography has at least one more indispensable application: authentication. Mathematicians and computer scientists use their number machines to ensure that a digital message actually comes from the sender who supposedly signed it. Milen Till's art also offers relaxed resistance to this form of encryption: here, what others once sent into the art world is appropriated, ironized, fragmented, and glued back together with great glee-until no strict signature can be deciphered.
Milen Till even punched holes in two postcards. "Targets" by Jasper Johns and Kenneth Noland now contain darts. The alienated target is virtually emblematic of the art that Till produces. In Munich, he has already set up one of his own design: in front of the Villa Stuck, a "Riding Amazon" stands guard, the bronze sculpture lunges to throw her spear, the distance sharply in view. On the other side of the street, Till has now mounted a target for her, into which the spear will sink when it is released. Statisticians know the great term "Texas sharpshooter fallacy" for such an irregular procedure. You can't, like the Texan from the old joke, shoot first into the barn door and then paint a target around the hits to be crowned the shooter king. The target would have to come first. Just as the statistician is supposed to indicate how the results would have to turn out to actually confirm the hypothesis before collecting data. In retrospect, everyone can bend it to his or her liking. Just not everyone as beautifully as Milen Till.
Does art have to be closed, cryptic, inaccessible? Perhaps not. And yet, what Joseph Beuys is said to have once remarked in a seminar holds true: "Anyone who doesn't think gets kicked out." He jotted down the phrase on an index card, which he subsequently published himself as a postcard-Beuys did not regard his postcards as secondary merchandising, but as works of art in their own right. "Anyone who doesn't think gets kicked out," of course, can be phrased more gently, so as not to scare people away immediately. In the editorial department where I work, there was a postcard hanging on the wall in the hallway of the feature section for a long time; 1 don't know who hung it there and why. On it was a question: ls art intelligent e11tertainment? For the art of Milen Till, the answer is easy: of course, very intelligent entertainment.
Photos © Uwe Walter